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Gastkolumne Mai 2001

 Wenn Sie sich ein Bein brechen, haben alle wahnsinnig Mitleid, helfen Ihnen die Müllsäcke runter schleppen, bringen Ihnen Kuchen und was weiss ich in die Wohnung. Haben Sie aber eine Grippe, klingt es unisono aus Ihrem Freundeskreis: "ach du Arme, hatte ich kürzlich auch". Ähnlich ergeht es einem mit Gebäudeschäden: Sollte Ihnen das Dach einstürzen, dürfen Sie auf Verständnis hoffen, wenn Sie jammern. Das passiert schliesslich nicht jedermann. Aber klagen Sie niemals, wenn die Küchenschublade in sich zusammen fällt, obwohl auch dieses Ereignis Ihren Alltag total verändern dürfte, es sei denn, Sie sind Schreiner und können das Problem ohne fremde Hilfe lösen.

Balkonias Wohnung wird durch eine Verwaltung betreut. Klingt praktisch! Welche Schublade das denn sei?, will die neue Mitarbeiterin wissen. Ja und wie alt die Küche sei. Es sei die kleine Besteckschublade und die Küche etwas über zwanzig Jahre alt, antworte ich. Also, lasse ich mich belehren, die Küche gelte als praktisch neuwertig, die Küche ihrer Grossmutter sei über sechzig Jahre alt und dort sei die Besteckschublade noch in Ordnung - ich dürfe halt keine schweren Gegenstände dort lagern. Nachdem Balkonia verspricht, ihre Goldbarren in Zukunft woanders zu deponieren, ist die Verwaltungsdame bereit, einen Handwerker zu organisieren. Der werde sich telefonisch anmelden. Balkonias gehen also ab sofort sehr früh schlafen, damit sie wach sind, wenn der Schreiner anruft - erfahrungsgemäss passiert das morgens um sechs. Nach einer Woche werden wir von unseren Freunden gefragt, ob wir in den Ferien waren, so erholt und ausgeschlafen sehen wir aus. Am zehnten Tag meldet sich der zuständige Fachmann mittags um zwölf und meldet sich für den nächsten Tag um halb sieben in der Frühe an. Glücklich gehen Balkonias zum letzten Mal mit den Hühnern ins Bett. Wie diese Geschichte enden wird, kann ich Ihnen vielleicht im nächsten Urwaldtipp erzählen, jedenfalls kam der Schreiner am nächsten Tag nicht, auch nicht am übernächsten usw. Inzwischen frage ich mich: Wozu braucht der Mensch eigentlich eine Besteckschublade?

Nun zu unserer Pflanze des Monats: Bambus. Der Bambus ist ein Grasgewächs! Um den Ablegern dieser Gräser Herr zu werden, hat sich meine Schwester inzwischen eine Motorsäge angeschafft. Zur Freude der Nachbarn, besucht sie ihr Haus im Tessin mittlerweile drei Mal pro Woche, um die bis zu 60 cm pro Tag wachsenden Gräser mit einem Durchmesser von 5 cm mit der Baumsäge zu fällen. Der Lärmpegel in Ligornetto ist merklich gestiegen, die umliegenden Chinarestaurants bereiten schmackhafte Gerichte mit einheimischen Bambussprossen an, meine Schwester erwägt eine Konservendosenfabrik in Mendrisio zu eröffnen etc. Nur soviel: Balkonia kann das Wort "Bambus" nicht mehr hören.

Bis bald, Eure Balkonia